Leserbrief zu den schweren Aufgaben im Mathe-Abitur:

ich arbeite in einer Kommission für die Entwicklung von Abituraufgaben in einem Bundesland.

Auch bei uns zeigt die Erfahrung: Je mehr Aufgaben wir in einem Jahr aus dem Aufgabenpool des IQBs für unser Abitur entnehmen (und das ist eben immer noch Ländersache), desto schlechter sind die Durchschnittsnoten. Es ist also nicht nur ein subjektiver Eindruck, dass die Aufgaben vom IQB schwerer sind als die eigenen Aufgaben mancher Länder, es zeigt sich auch objektiv in den Ergebnissen.

Sachsen begründet das mit ungewohnten Formulierungen (Daran sind sie selbst schuld. Es liegt völlig in der Verantwortung jedes Landes, wie stark sie die Aufgaben verändern und ob und welche Aufgaben sie überhaupt entnehmen. Es gibt aber politischen Druck, möglichst viele Aufgaben und möglichst inhaltlich unverändert zu übernehmen. Umformulierungen zur besseren Verständlichkeit oder Anpassungen an landestypischen Formulierungen/Stilfragen sind aber kein Problem.) oder Aufgabenstellungen (Das ist ein Bullshitargument. Wie du ganz richtig selbst gesagt hast, gibt es auch immer Aufgaben mit Transferleistungen [sogenannter Anforderungsbereich 3]. Die müssen(!) komplett neu und ungewohnt sein. Aber auch im Anforderungsbereich 2 [Anwendung in bekannten Situationen kann das Setting der Aufgabe neu und unbekannt sein. Und die Aufgaben aus dem Anforderungsbereich 1 [Widerkäuen von gelerntem/Ausführen von basalen Standardoperationen] des IQB sind eben auch das.).

Bremen begründet das mit dem Aufbau (Da kann ich bestätigen, dass manche Aufgaben echt eigenartig aufgebaut sind, mit zusammhangslosen Teilaufgaben oder unverständlichen thematischen Wechseln. Das sollte im Mathematikabitur aber eben keine große Rolle spielen, weil es nicht auf den Kontext, sondern die mathematischen Strukturen ankommt.) und der Verständlichkeit der Texte (wie bei Sachsen: Verantwortung des Landes den Text gegebenenfalls zu verändern).

In Berlin beschweren sich die Lehrkräfte über fehlerhafte (Die kommen dann aber nicht vom IQB. Dort entwickeln Horden von Leuten die Aufgaben. Die werden dann von den Vertretern der Länder [auch Mathelehrer] zerpflückt und hin- und hergeschoben. Und die Aufgabenkommissionen der Ländern wählen dann daraus welche aus. Auch bei so vielen Leuten, die drüber schauen, kann ein Fehler durchrutschen, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering und das macht dann den Speck der Punktzahlen auch nicht fett.) und missverständliche (siehe oben) Aufgaben.

Das gesamte System der bundesweiten Bildungsstandards, die keine Lehrpläne sein dürfen aber die Basis für gemeinsame Aufgaben sein müssen, und Aufgabenpools, die auf der Basis dieser Bildungsstandards geschrieben werden, aber in allen Ländern kompatibel mit den jeweiligen Lehrplänen sein müssen, ist kaputt. Was hier kritisiert wird, passt aber nicht dazu. Kein Politiker traut sich, den Hauptgrund für das kaputte System zu benennen: den Widerspruch von Bildungsföderalismus, Freizügigkeit und deutscher Zeugnisgläubigkeit (es zählt nicht, was jemand kann, sondern wofür er ein Zeugnis hat, dass er es könne), geschweige denn die einfachste Lösung (Zentralisierung des Bildungswesens) vorzuschlagen. (Ist halt eine schlechte Aussicht für so einen Politiker: statt 16 Länderministern für Schule nur 1 Bundesminister für Schule? So viel Stochastik können die Politiker dann doch.) Stattdessen einfach mal die Noten um x Punkte anheben, aber das ist ja nur eine „absolute Ausnahme“ (die aber jedes Jahr in irgendeinem Land auftritt und in manchen Ländern schon recht regelmäßig alle 2-3 Jahre.).

30.06.2020