Wisst ihr, was mich ja seit Jahren aufregt? Wenn der Westen rumrennt und anderen Ländern Menschenrechtsverletzungen vorwirft, während die Nato Hochzeitsgesellschaften per Drohne und Joystick zerfetzt. Wenn der Westen anderen Ländern Vorhaltungen wegen der Pressefreiheit macht, während Julian Assange im Folter-Abschiebeknast sitzt.

Vor zwei Wochen gab es ein bemerkenswertes Interview in die Richtung. Da ist eine BBC-Reporterin nach Aserbaidschan gefahren und hat da den Präsidenten interviewt.

Aserbaidschan liegt am Kaspischen Meer zwischen Russland und dem Iran und hat als Nachbarn Armenien und Georgien. Mit Armenien ist Aserbaidschan im Krieg um Bergkarabach, da gab es ja diese Wochen auch wieder Nachrichten. Wenn man im Westen an Freiheit, Menschenrechte und Pressefreiheit denkt, kommt einem wahrscheinlich nicht als erstes Aserbaidschan in den Kopf.

Der Präsident ist der Sohn seines Amtsvorgängers, er fuhr bei der letzten Wahl 80% der Stimmen ein. Internationale Wahlbeobachter (u.a. OSZE) sprachen von Wahlfälschung und Einschüchterungsversuchen, sagt Wikipedia.

Da wird sich die BBC-Reporterin gedacht haben: Leichtes Ziel. Gehste hin, erwähnst ein bisschen Menschenrechtsverletzungen, haste Interview im Kasten. Zuhause applaudieren alle.

Aber der Präsident lässt sich so leicht nicht die Butter vom Brot nehmen. Hier ist das Video. Die Stelle mit der Pressefreiheit geht bei ca 19 Minuten los.

Der Präsident antwortet in auffallend gutem Englisch (man vergleiche mal mit sagen wir Oettinger) und bestreitet erstmal alles. Wir haben hier ganz viele NGOs und Presse und lassen die alle machen.

Die BBC so: Ja aber die Opposition wird doch unterdrückt!

Der Präsident so: Wen meinen Sie denn mit Opposition?

Die Frage ist nicht gänzlich unbegründet, denn was die BBC meinte war die armenische Minderheit. Mit denen befand sich Aserbaidschan zum Interviewzeitpunkt im Krieg und hatte auch Kriegsrecht ausgerufen. Kann man jetzt geteilter Meinung sein, ob man das als Opposition zählt. Das wäre wahrscheinlich wie wenn man den USA vorwürfe, die Opposition zu unterdrücken, weil sie einen aus ihrer Sicht islamistischen Terroristen an der Grenze verhaftet haben.

Der Präsident jedenfalls weiter: Bei uns haben 80% der Bevölkerung Zugang zum Internet, sagt er (Das hat mich überrascht. Da sind mehr als in Brandenburg!). Wie soll denn das gehen, fragt er, wenn 80% freien Internetzugang haben, da irgendwelche Meinungen zu unterdrücken?

Aber dann lässt er die eigentliche Bombe platzen, die die BBC-Frau offensichtlich überhaupt nicht kommen sah. Wenn wir schon über Pressefreiheit reden: Wie schätzen Sie denn die Situation mit Julian Assange ein? Wie lange musste der sich noch gleich in der Botschaft von Ecuador verstecken? Und wo ist der jetzt? Und wofür? Für journalistische Arbeit?

Ja nee, sagte die BBC, wir sind nicht hergekommen um über Julian Assange zu reden.

Ach? Ach was? Warum eigentlich nicht?

DAS muss weh tun, wenn man von einem Pseudodemokraten in Aserbaidschan vorgeführt bekommt, was man selbst eigentlich die letzten 10 Jahre mal hätte fragen müssen. Da bleibt kein Auge trocken!

Das Video wurde hochgeladen von AZERTAC, der staatlichen Aserbaidschanischen Nachrichtenagentur. Deren Slogan ist: Source of accurate and reliable news. Das ist eigentlich nie ein gutes Zeichen, wenn man das dazu sagen muss als Nachrichtenagentur :)

Der Konflikt zwischen Aserbaischan und Armenien endete übrigens nicht gut für Armenien. Die haben sich zwar auf einen Waffenstillstand geeinigt, aber erst nachdem Aserbaidschan in Armenien Land erobert hat. Daraufhin ist in Armenien der Oppositionsführer wegen angeblicher Mord- und Putschpläne gegen den Ministerpräsidenten festgenommen worden.

Die EU findet übrigens Aserbaidschan als Freund attraktiver als Armenien. Armenien ist bettelarm, Aserbaidschan hat Öl und eine Gaspipeline an Russland vorbei. Russland bemüht sich auch um gute Beziehungen zu Aserbaidschan.

Allerdings, nicht das mich hier jemand fehldeutet: Aserbaidschan ist auch unabhängig von der Frage, wer jetzt mit Opposition gemeint ist, nicht für Menschenrechte und Pressefreiheit bekannt. Die haben zwar die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert aber lassen den Beobachter nicht ins Land, der die Einhaltung überwachen sollte. Reporter ohne Grenzen führt sie auf Platz 166 von 180 (Georgien: 60, Armenien: 61). Inhaltlich hat die BBC also mit ihren spitzen Fragen völlig Recht. Ist nur halt Scheiße, wenn man dann selbst nicht mit gutem Vorbild vorangegangen ist. Dann kann man da auch keine moralische Überlegenheit raushängen lassen. Vielleicht seht ihr das anders, aber mir ist das immer sehr wichtig, wenn ich Leute kritisiere.

25.11.2020