Im Moment finden ja viele Konferenzen online statt. Habt ihr euch da mal ein paar angeguckt?

Ich hab ja von Anfang an angesagt, dass ich bei sowas nicht mitmache. Vor Ort Präsenz ist eine Sache, aber online? Wieso sollte ich das über irgendeine Konferenz machen? Wenn ich da Bock drauf hätte, könnte ich die Videos einfach direkt bei Youtube oder so hochladen.

Ich nahm auch an, dass das die Atmosphäre und Vortragsqualität vernichten würde. Vielleicht ist das eine Macke von mir, aber wenn ich kein Publikum habe, dann fehlt ein Korrektiv, das mich vom Schwafeln oder Abgleiten abhält. Daher sind meine Vorträge zeitlich üblicherweise Punktlandungen und meine Podcasts sind 3 Stunden lang :-)

Nun hat der eine oder andere Alternativloshörer sich an mein Geschwafel gewöhnt, und so als Geplätscher und für soziale und gesellschaftliche Themen mag das ja auch OK sein, aber ich mache gerne technische Vorträge. Es ist mir ein echtes Anliegen, dass die Leute da was mitnehmen. Das geht nur, wenn man zeitlich im Rahmen bleibt. Das muss kurz und schmerzhaft sein. Eine Stunde ist im Grunde schon zu lang. Ich glaube 20 Minuten ist perfekt für technische Vorträge. Bringe eine Sache, aber die bringe schnell, auf den Punkt, und überzeugend.

Manchmal hat man mehr Stoff als 20 Minuten leisten können, und dann würde ich das aber eher einen Workshop nennen als einen Vortrag.

Egal. Worauf ich eigentlich hinaus wollte: Ich habe ja die Policy, dass ich meine Vorurteile gelegentlich gegen die Realität zu prüfen versuche, um sie zu bestätigen oder zu verwerfen. Also habe ich mir ein paar Vorträge von so Online-Konferenzen angeguckt, und ich muss leider sagen: Befürchtungen bestätigt.

Die Qualität der Vorträge hat schon von den Titeln her gelitten. Das finde ich nur natürlich und das muss nicht an dem neuen Format liegen. Objektiv gesehen wäre die Covid-Pandemie mit dem Zuhausebleiben der perfekte Moment gewesen, um mal coole neue Projekte zu machen, oder um mal in Ruhe die IT in der Firma zu erneuern, um Technical Debt abzubauen, etc. Ich habe aber in der Zeit so gut wie nichts erreicht.

Das ist jetzt zu hart formuliert. Ich hatte mehrere Kundenprojekte in der Zeit. Aber bei meinen Freizeit-Projekten gab es so gut wie keine Bewegung. Zeit hätte ich genug gehabt, um zum Beispiel mal das TLS runterzuimplementieren. Nicht alle Ciphersuites, aber zumindest das Drumherum wäre drin gewesen.

Das liegt glaube ich daran, dass ich die ganze Zeit unter so einem latenten Dauerstress stand. Nicht weil ich tatsächlich irgendein Problem oder was zu befürchte hatte, aber dieses ständige Einprasseln der Terrorpanikmeldungen, die Notfall-Eilmeldungs-Ticker, das Fallzahlen-Bingo und die unklare Lage haben bei mir dazu geführt, dass ich im Wesentlichen halb betäubt wie ein Zombie irgendwelchen Meldungen hinterhergeklickt habe, von denen größtenteils schon beim Klicken klar war, dass sie keinerlei Auswirkungen auf meine Lebenssituation haben würden.

Ich glaube, das ging auch vielen anderen Leuten so. In meinem Freundeskreis ist es jedenfalls den meisten so gegangen.

Wenn ich den Sommer über nichts geschafft habe, wie kann ich dann von anderen erwarten, dass sie bahnbrechende Vorträge vorbereitet haben in der Zeit?

Aber es ist mehr als das. Man merkt den Leuten auch an, wie unwohl sie sich fühlen in der Situation. Sie beginnen mit Floskeln, wie man sie als Eisbrecher für das Publikum benutzen würde. Aber da ist kein Publikum. Es gibt keine Reaktion. Es ist als ob man mit der Wand redet. Die Vorträge fangen also alle schonmal mit einem Bauchklatscher an. Dann reißen sich die Leute zusammen und machen ihren Vortrag, aber das Timing ist verkackt, denn wenn du nicht merkst, dass du im Publikum gerade Interesse geweckt hast, gibt es auch keinen natürlichen Spannungsbogen und wenn du den dann simulierst, dann wirkt das künstlich und peinlich. Ein geschulter, erfahrener Redner kann das vielleicht trotzdem faken, aber der durchschnittliche Vortragende auf einer IT-Konferenz nicht.

Ich bin jedenfalls ganz froh, dass ich Online-Konferenzen grundsätzlich abgesagt habe.

Und mal unter uns: Ein Jahr ohne Konferenzen werden wir wahrscheinlich überleben. Für die Veranstalter von Konferenzen sieht das aber anders aus. Ich habe noch nichts von insolventen Veranstaltern von IT-Konferenzen gehört bisher, aber ich bin mir fast sicher, dass es da einige geben wird.

31.10.2020